Dienstag, 18. Februar 2014

Alter schützt vor Irrationalität nicht

Bald werd ich 30 und während die Jüngeren jetzt denken "Scheiße ist das alt", denken die Ü30 jährigen "süß, das waren noch Zeiten". Ich selbst seh dem Tag mit Schrecken entgegen. Warum? Okay, hier jetzt mal die lange, irrationale, zwar so gemeinte, aber mit einem Augenzwinkern zu lesende Liste der Gründe, warum 30 werden schrecklich ist.

1. An meinem 4. Geburtstag wachte ich morgens auf und stellte mich vor den Spiegel in der Erwartung über Nacht extrem gewachsen zu sein, weil ich ja  schon ein "großes Mädchen" sei. Gut, ist nicht passiert, aber morgen werde ich vorm Spiegel stehen und Falten suchen und finden. Klar sind die jetzt schon da, aber ich wette, dass sie über nacht tiefer werden und mehr. Die Werbung für Anti-Falten Cremes sagt das ja auch. Von Cellulite will ich gar nicht anfangen.

2. Morgen steigt mein Krebsrisiko schlagartig an. Mit 29 alles supi, mit 30 auf einmal ein paar Vorsorgeuntersuchungen mehr. Über Nacht. Sagen zumindest die Mediziner.

3. Die Gesellschaft erwartet von mir in den nächsten 10 Jahren zu heiraten und zu reproduzieren. Wobei dafür die beste Zeit schon 10 Jahre zurückliegt, außerdem mit meinem persönlichen jetzt mit 30 erhöhten Risiko für Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und sonstigen körperlichen Gebrechen ist es doch recht verantwortungslos ein Kind in die Welt zu setzen. Eins hätt ich aber schon gern. Ein Mädchen, bitte, irgendwann, wenn ich erwachsen bin.

4. Um meine aktuelle Fitness beizubehalten muss ich jetzt mehr tun als vorher. Bei 8 bis 10 Stunden Sport in der Woche wird das schwierig, außer ich kündige meinen Job. Ich bau mit 30 und jedem weiteren Jahr schneller Muskeln ab und Fett auf. Sagen Sportmediziner. Bisher konnt ich immer alles essen was ich wollte ohne großen Effekt. Was wenn das nicht mehr geht. Meine Selbstbeherrschung ist leider nicht auf dem Niveau einer 30jährigen. Gleiches gilt übrigens fürs Erlernen neuer Fähigkeiten und ich kann immernoch nicht Snowboarden, Skateboarden, Spanisch sprechen, Grammatik (vor allem Zeichensetzung...), wirklich gut Tanzen (und das stresst mich am allermeisten). Was Hänschen nicht lernt... Dabei will ich doch noch besser werden im Tanzen (Scheiß auf Grammatik)!

5. Ich bin 30 und hab noch nichts im Leben erreicht. Noch keine Goldmedaille bei Olympia gewonnen (und wenn kann ich das nur noch im Schießen, Dressurreiten oder Curling), nicht Mark Zuckerberg-mäßig ein Unternehmen gegründet und die erste Millionen (oder Milliarde) gemacht, keinen Nobelpreis gewonnen, den Friedensnobelpreis zähl ich nicht, weil den muss ich ja teilen (wobei da kann ich auch uralt für sein - das ist noch nicht over), die Welt noch nicht vor sich selbst retten können, kein Leben gerettet, kein bedeutendes Statement gemacht und noch nicht mal eine Liste erstellt mit Dingen, die ich vor 30 erledigen will... Und wenn man Wirtschaftsmagazine liest, dann sind es die High Potentials unter 30, die dann zu was werden. Ich bin immer noch Junior Staff und hab nix zu melden, kann aber super Kaffee und Tee für die Kollegen holen. Mir ist klar, dass ich an dem Punkt selber Schuld bin, immerhin bin ich an meinen eigenen Anforderungen (Gold bei Olympia, Nobelpreis und die erste Milliarde) gescheitert.

6. Wie lang bin ich eigentlich noch "cool"? Nicht, dass ich cool bin, aber ich tue Sachen, die andere 30 jährige nicht tun. HipHop tanzen zum Beispiel. Wann kann ich das nicht mehr als Lieblingshobby anführen, weil mein Gegenüber denkt, dass ich zu alt dafür bin. Und was sag ich dann? Ich tanze? Zumba gegens Fett?!

7. Wann setzt die Altersparanoia und Intoleranz ein? Wann sag ich: Das mit der neuen Technik (iPhone) verwirrt mich? Wann hör ich auf facebook und whatsapp zu nutzen, weil ich Angst hab, dass die NSA sich für meine Treffen mit meinen Freunden oder Fotos von meiner Katze interessiert (da kenn ich Leute Ü30, die das denken)? Und wann fängt man an so Sachen zu sagen wie: die jungen Leute kleiden sich so komisch? Oder sowas in der Art.

8. Zwei meiner besten Freundinnen in der Schweiz sind 18 und 23. Als ich so alt war, waren 30 jährige für mich schon scheintot. Ich kannte gar keine 30jährigen. Erkennen die vielleicht bald auch, dass ich absolut zu alt bin oder mich langsam mal wie ne 30 jährige benehmen sollte (und was heißt das genau)?
Meine beiden besten Freundinnen aus der Uni sind so alt wie ich. Eine wird bald heiraten. Hat sie dann vielleicht keine Lust mehr auf ihre unverheirateten Mädels mit Jungsdramen?

9. Wenn ich jetzt irgendwas schaffe, was dann in der Bild steht (Lottogewinn, Nobelpreis (Wirtschaft, Frieden oder Literatur - für den Blog) gewinnen, Gold bei Olympia im Dressurreiten), dann steht da nicht mehr junge Frau (30), sondern nur noch Frau (30).

10. Ich hab ein bisschen Sorge, dass ich wie Carrie Bradshaw aus Sex and the City werde oder das ich anfang Liebesromane zu lesen, Schlagermusik zu hören, jedes Jahr Urlaub am selben Ort mach, auf Ü30 Parties geh. Oder - anders Extrem - denke, dass ich ewig jung sein kann. Wer hat nicht die ein oder andere Bekannte, die langsam auf die 40 zu geht, aber Typen datet, die Mitte 20 sind und sich selbst noch wie ne 20jährige aufführt? Megapeinlich.

Wenn ich länger drüber nachdenke, dann fallen mir bestimmt noch ein paar Sachen ein, die mich am 30 werden stressen. Das Paradoxe ist, dass ich nicht mehr 20 sein will. Ich weiss sehr viel mehr, was ich kann (und was nicht) und wer ich bin und was für mich funktioniert und was nicht. Ich kenn meine Stärken und meine Schwächen und verschwende meine Zeit nicht mehr mit Leuten, die es nicht gut mit mir meinen. Das alles hab ich in meinen 20ern gelernt - meistens auf die harte Tour - und darüber bin ich froh, aber alt werden nimmt die Leichtigkeit und Naivität und Offenheit. Ich bin auch sehr viel skeptischer, konsequenter und immer noch kein Stück gelassener, weil ich weiß, dass es Menschen gibt, die einen gerne scheitern sehen wollen (Neid und Mißgunst sine echt große Probleme). 
Vielleicht ist der Film "Der kuriose Fall des Benjamin Button" doch das Idealmodell. Man kommt alt und gebrechlich zur Welt und man wird körperlich immer jünger, hat aber auch mehr Erfahrung um seine Energie gezielt zu verwenden.

Ich akzeptiere die große, angsteinflössende 3, werde rückblickend feststellen, dass es gar nicht so schlimm war und nicht weh getan hat, genieß noch die letzten 24 Stunden als 29jährige und schließe mit folgenden Worten: 
"Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme". - Charlie Chaplin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen